Interview mit der Initiatorin Anja Tuckermann

Anja Tuckermann, geboren 1961, ist Autorin von Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, Libretti und Bilderbüchern. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet und in 13 Sprachen übersetzt.

Wie bist du auf die Idee zu dem Buch gekommen?

Mich erschüttert das Sterben schutzbedürftiger Menschen im Mittelmeer und in der Sahara. Als am 3. Oktober 2013 mit einem Boot 373 Menschen untergingen und ertranken, fragte ich mich: Wer kennt ihre Namen? Warum birgt man die Leichen nicht? Wer benachrichtigt ihre Mütter, Väter, Geschwister, Liebespartner und Freunde? Brauchen sie nicht wenigstens Gewissheit, wenn sie schon kein Grab ihrer Liebsten haben? Viele wissen um die lebenslange Belastung für eine Familie, wenn ein Mensch einfach verschwindet und man nichts Genaues weiß.

Im Oktober 2013 gab es noch ein öffentliches Entsetzen, vielleicht bei manchen auch ein erstes Aufwachen, einen ersten Blick auf das Massensterben im Mittelmeer. Seitdem aber haben viele Leute sich daran gewöhnt oder verdrängt, dass täglich Hunderte Menschen sterben. Und zwar auch deshalb, weil Politik und Verwaltung den Blick in gleichgültiger Kälte vor allem auf Abwehr von Schutzbedürftigen setzen und den Tod so vieler Menschen damit hinnehmen, anstatt sich darum zu kümmern, wie die Menschen, die bei uns angekommen sind, gut aufgenommen werden können. Diese viel wichtigere Aufgabe wird immer noch im Großen und Ganzen einfach nicht angegangen und bleibt den Ehrenamtlichen überlassen.

Das betrifft auch das Sterben im Mittelmeer – nicht umsonst gibt es seit 2015 private Seenotrettung.

Ich kann mich nicht gewöhnen.

Seit 2013 und seitdem ich Überlebende der Flucht über das Mittelmeer persönlich kenne, dachte ich, man sollte die Toten verzeichnen. Sie brauchen, wenn schon kein Grab, so zumindest eine Art Denkmal. Man muss ihre Namen nennen, damit sie nicht vergessen werden.

Dank der Künstlerin Banu Cennetoğlu wurde die vorhandene Liste von UNITED for Intercultural Action 2017 als Beilage des Berliner Tagesspiegel komplett gedruckt. Da wusste ich, dass ich jetzt weiterkommen würde. Aber nicht allein – zu meiner großen Freude lernte ich Kristina kennen und wir beschlossen, das Buch zusammen herauszugeben und Porträts über Einzelne der Toten zu schreiben.

Was hoffst du mit dem Buch zu bewirken?

Ich hoffe, dass Leute Mut bekommen, sich zu engagieren – auch gegen die Parolen von Regierungsmitgliedern. Dass Leute sich empören, sich einsetzen für die private Seenotrettung – weil die europäischen Staaten bei der Seenotrettung im Großen und Ganzen inzwischen komplett versagen.

Dass sie nicht dulden, dass die Regierungen von Europa und Deutschland ein Abkommen mit Libyen schließen, das hinnimmt, dass Schutzsuchende gefoltert, getötet und versklavt werden.

Ich hoffe vor allem, dass Leserinnen und Leser des Buches nicht gleichgültig gegenüber diesen Menschen sind, insbesondere auch nicht gegenüber den Überlebenden, die bei uns Schutz gefunden haben.

Engagierst du dich ansonsten auch in der Flüchtlingsarbeit?

Ja. Ich unterstütze seit 2014 geflüchtete Afrikaner bei Ämtergängen aller Art, der Arbeitssuche und der Suche nach Kirchenasylplätzen.

Welche Art von Unterstützung könnt ihr jetzt noch gebrauchen?

Zuerst natürlich Spenden, um das Buch in einer hohen Auflage drucken und am 10. Dezember kostenlos verteilen zu können.

Auch bei der Verbreitung des Buches können wir Unterstützung gebrauchen.

Wenn jemand noch Namen nennen kann, Fotos geben oder etwas aus dem Leben eines oder einer Toten erzählen möchte, würden wir das noch in die Liste einfügen.

Falls jemand eine Veranstaltung zu dem Buch machen möchte, wärst du bereit dazu?

Ja.