Suleman Taufiq « der tod allein kennt die stille »

Der deutsch-syrische Autor Suleman Taufiq wurde 1953 in Beirut geboren und wuchs in Damaskus auf. Seit 1971 lebt er in Deutschland und hat in Aachen Philosophie und Komparatistik studiert. Er ist als Lyriker und Erzähler, Kulturjournalist sowie als Herausgeber und Übersetzer arabischer und deutscher Literatur bekannt. Er veröffentlicht vorwiegend Gedichte sowie Geschichten für Kinder, aber auch Romane, Erzählungen und Essays. Er übersetzte viele arabische Werke ins Deutsche und zahlreiche deutsche Dichter ins Arabische. 2016 erschien seine Novelle „Café Dunya. Ein Tag in Damaskus“ in der Edition Orient, Berlin. (Foto: Martin Schwoll)

Vielen Dank, Suleman Taufiq, für dieses Gedicht.

Suleman Taufiq – der tod allein kennt die stille

Aus dem Gedichtband Ich zähme die Hoffnung. Sujet Verlag, Bremen 2017

wunden in den augenblicken
zerbrachen,
fremde mimik,
unbewegliche zeit,
das nichts.
durstige seele sehnt sich nach land.
die rebellion ermüdet,
die verwirrung glüht.
schlaflos
irrst du durch die welt,
unbeachtet.
alle türen sind verriegelt,
auch die türen deiner leute.
du bist aus syrien,
du kommst aus dem land der propheten
und der götter,
aus dem land der düfte,
der poesie und
des geheimnisses.
du flüchtest ins land
des logos,
der ideologien,
der einsamkeit,
der entzauberung
und der freiheit.
du suchst die verlorene fata morgana.

dein land verändert sich,
stirbt langsam,
haufen von leichen.
parteien holen alte hymnen
aus der geschichte hervor,
totenklagen auf das land.
kennst du die toten
und die geflüchteten.
eine neue sprache wurde erfunden,
die hoffnung wurde verschleiert,
es hat keinen zweck,
etwas zu wissen,
keinen zweck zu denken,
keinen zweck zu hoffen
und sich zu fürchten.
hände tragen zerstörte häuser,
sie gehen weiter
durch das schweigen.

das echo der explosionen
befreit vom gehör,
die wolken regnen kugelhagel,
fußtritte von irrenden menschen
zerkratzen das ewige schweigen.
sie sind das echo der götter,
laufen zwischen den ruinen,
kleine arme fliegen in die luft,
finger rennen,
leichen treten aus der
erdkruste heraus,
laufen schnell, schreien,
sammeln sich.
rufen zum streik auf,
lehnen es ab,
in dieser erde begraben zu werden,
sie rufen den himmel an.
keine klageweiber,
die toten begraben sich selbst,
tragen selbst ihre leichentücher,
sprechen sich ihr beileid gegenseitig aus,
verstecken ihre geheimnisse,
damit nichts sie enthüllt,
sie preisen die götter,
dass sie nicht verbrannt
und ihre teile nicht zerstreut sind.

kein echo,
kein mitleid,
kein mitgefühl.
früher liebtest du die nacht,
die nacht ist jetzt dein feind,
ist ein schreckgespenst.
keine stimme
für liebe und geselligkeit.
du stehst vor dem meer,
hast angst vor dem meer
oder vor der reise,
nein du hast keine angst.
der krieg frisst alle ängste.
eine stille beim warten
auf die überfahrt,
das boot ist noch nicht da,
es versteckt sich hinter den felsen.

du nimmst etwas mit
und lässt vieles zurück,
du gehst voran,
drehst dich nicht um,
singst ein altes lied,
vielleicht
vergisst du es später.
im dunkel steigst du ins boot
voller hoffnung,
es ist noch warm,
deine erste reise auf dem wasser.
das meer macht dich schwindeln
oder doch die angst,
du weißt es nicht.
du bleibst nah bei den anderen
und erinnerst dich an deine mutter
und an die geschwister,
aber nicht an dein land.
im wasser siehst du nur hände
zerstreut,
keine fische.
möwen zeigen dir den weg.

der duft des kaffees,
den du heute morgen
mit deiner mutter trankst,
ist noch frisch.
deine mutter entzündete
für dich eine kerze
in der zerstörten kirche.
du redest nicht mehr,
früher hast du gerne geschichten erzählt,
wofür heute noch die worte?
worte sind treulos,
sie schreiben eine geschichte über dich.
du wirst berühmt im fernsehen,
auf den ersten seiten der zeitungen,
in sprachen, die du nicht verstehst.

trauriger regen nässt deine haare,
früher war der regen dein freund,
heute dein feind .
der tod siegt,
feiert seinen strand,
die glühende sonne
wird dich am strand trocknen,
zwischen damaskus und athen
ist der faden des todes kurz.
früher hast du das mittelmeer gemocht,
an seiner ostküste sangst du deine lieder
und schicktest du grüße,
die wellen trugen sie überall hin.
zum ersten mal ist dir das meer untreu,
es ist nicht dein meer,
du schreist: das ist nicht das mittelmeer!

die feuchte des meeres
ist erfrischend,
du erinnerst dich,
als du kind warst,
hast du vom meer geträumt.
du standest davor
und lauschtest seiner stimme.
was liegt dahinter,
hast du gefragt
du wusstest: europa.
jetzt bist du auf dem weg nach europa,
das meer ist anders.
es singt nicht mehr.
du erinnerst dich an eine geschichte,
die deine großmutter oft erzählte,
die geschichte von dem fischer,
der in seinem netz einmal keinen fisch gefunden,
sondern eine nixe,
halb frau und halb fisch.

von weitem siehst du lichter der boote.
du fragst dich, ob es fischer sind,
oder sie transportieren flüchtlinge wie dich.
ein kühler wind peitscht auf dein gesicht,
salziges wasser besprüht deine augen,
alles um dich still.
der kapitän hat euch befohlen zu schweigen,
warum?
damit die fische
oder die piraten euch nicht bemerken,
vielleicht.

eine große welle,
das boot wankt,
der himmel ist nackt.
über dir sterne,
die du noch nie gesehen hast,
schau die sterne an,
sie sollen dir das endziel zeigen,
du wartest lange,
das warten ist dein beruf.
du hast alles verloren,
auch die sprache,
niemand dort versteht deine sprache,
niemand hört dir zu,
auch dein schreien ist hilflos.
das meer hat keine häuser.
der strand ist kein schutz,

du setzt dich in die ecke
im boot,
und beobachtest.
deine worte kreisen um dich,
die zeit explodiert.
die nacht ist stickig,
motorengeräusche,
keine stille,
der tod allein kennt die stille
und die ruhe.
alles ist unnahbar.
die rose, die du mitnahmst,
verlor ihren duft.
was hast du dort zurückgelassen
außer dem verbrechen?
warum hast du ein haus gebaut
und einen maulbeerbaum gepflanzt,
die revolution hat dich vertrieben,
zum vagabunden gemacht
und du hast dich selbst verloren.

das boot schaukelt
im wasser,
menschen rufen gott laut an,
welchen gott,
egal.
andere murmeln,
du fragst,
wer hört die gebete,
die piraten vielleicht,
die wellen spielen
die letzte melodie

an der küste stille,
der strand wartet auf dich.
eine flüchtige stimme
ruft,
du verstehst nichts.
niemand rettet dich,
außer die lichter
des entfernten glücks.
die möwe bringt dir
das unmögliche,
vielleicht ist das die rettung?

am strand stehen fahrzeuge,
warten auf die ankunft der fremden,
soldaten sammeln die ersten leichen ein,
leichen ohne blut.
eine frau hockt auf dem boden,
schlägt sich auf die brüste,
schreit.
niemand versteht sie,
der strand ist in stille versunken,
die luft ist feucht.
ein fischer singt leise ein trauriges lied,
vielleicht stammt es aus dem griechischen bürgerkrieg,
seine füße in den sand gesteckt
raucht er eine zigarette.

frage: wie heißt du, wie alt, staatsangehörigkeit?
du sagst nur: flüchtlinge, flüchtlinge, krieg.
du verstehst die frage nicht.
du fragst nach wasser
für deine kinder: water, water!
dieses wort hast du auswendig gelernt.
du hast keine angst vor dem hunger,
du hast angst
vor der kälte des nordens.