Der Hirnkost Verlag wurde 2003 vom Berliner Archiv der Jugendkulturen gegründet und ist heute noch im Besitz von Vereinsmitgliedern, Autor*innen und – mehrheitlich – der Stiftung Respekt!. Seine Publikationsschwerpunkte sind neben Jugend- und Subkulturen die Themen Migration und Flucht. Klaus Farin, Jahrgang 1958, selbst Autor, leitet den Verlag als Geschäftsführer ehrenamtlich seit 15 Jahren.
Wie bist du auf die Idee zu dem Buch gekommen?
Die Idee stammt eigentlich von Anja Tuckermann und Kristina Milz. Aber als die beiden mich gefragt haben, ob der Hirnkost Verlag das Buchprojekt realisieren könnte, habe ich sofort spontan zugesagt.
Was hoffst du mit dem Buch zu bewirken?
Das Schlimmste an dieser ganzen Flucht-Thematik ist meiner Meinung nach die absolute Empathielosigkeit und der Zynismus weiter Teile der Politik, vieler Medien und auch normaler Bürger. Da sterben Hunderttausende von Menschen zum Teil aus Gründen, die wir hier im Westen mit zu verantworten haben, Millionen Menschen vor allem Kriegsgebieten sind derzeit auf der Flucht, nicht einmal jeder Zehnte von diesen flieht nach Europa, während fast alle anderen in den afrikanischen und arabischen Nachbarländern Zuflucht finden, und dann wird ernsthaft von unseren Eliten in deutschen Parlamenten und Talkshows darüber diskutiert, ob wir als eines der reichsten Länder der Erde es uns leisten können, Geflüchtete, die insgesamt knapp ein Prozent unserer Bevölkerung ausmachen, hier aufnehmen zu können. Von den Hass- und Neidpostings in Leserbriefen und social media mal ganz zu schweigen. Und immer wieder rechtfertigen SPD-, CDUCSU- und FDP-Politiker ihre zynische Politik damit, man müsse „Volkes Wille“ entgegenkommen – dabei ist die Mehrheit der Bevölkerung eindeutig für eine humanere Flüchtlingspolitik, die Trolls der AfD usw. repräsentieren nur rund ein Drittel der Bevölkerung. Und trotzdem läuft die Politik mit großer Mehrheit – bis in die Reihen der Grünen und Linken hinein – dieser rassistischen und neoliberalistischen Minderheit hinterher. Das muss aufhören.
Überschätzt Du da nicht die Wirkung eines Buches?
Nein. Bücher haben quantitativ nur einen geringen Wirkungskreis, während Talkshows oft mehrere Millionen Menschen erreichen. Allerdings nur sehr oberflächlich; kaum jemand, der eine Talkshow oder auch eine Nachrichtensendung im Fernsehen gesehen hat, erinnert sich am nächsten Tag noch wirklich an deren Inhalt. Bei Büchern ist das anders. Sie sind ein „entschleunigendes“ Medium, sie lassen Zeit, sich zwischen den Zeilen eigene Gedanken zu machen, sie hinterlassen nachhaltigere Spuren im Gedächtnis. Natürlich können sie niemanden in seiner Einstellung komplett verändern. Aber sie können zum Beispiel, was wir mit diesem Buch versuchen, Menschen stärken und ermutigen, die sich bereits für Geflüchtete engagieren, und sie können Menschen, die nicht schon totale Hass-Robots sind, emotional berühren und ihre Empathie fördern. Dass die sog. Rechtspopulisten und andere Hassbürger so xenophobisch denken und verbal randalieren, liegt ja nicht an der mangelnden Faktenlage. Wir wissen, dass ihre ganzen sog. Sachargumente kompletter Unsinn sind, so wie schon die Neidtiraden der Ex-DDRler in den 1990er Jahren, die meinten, „Ausländer“ würden ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Da konnte man sie hundertmal fragen, wie die knapp 2 Prozent der Einwanderer in den neuen Bundesländern für die dort damals durchschnittlich 18-prozentige Arbeitslosigkeit verantwortlich sein sollten. Die Antwort war damals schon: Alles Lüge! In Wirklichkeit haben wir hier 30, 40, 50 Prozent Einwanderer. Vollkommen absurd, aber die Leute haben das echt geglaubt. Damals waren das nur die Ungebildetsten, heute haben auch Angehörige der Mittel- und Oberschichten ihre Berührungsängste zu Rechtsradikalen und Rassisten ganz offen aufgegeben. Und ich glaube, es ist wichtig, wieder die Hoheit über die öffentliche Meinung dazu zu gewinnen und deutlich zu machen, dass es nicht zielführend ist, sich mit den Schmuddelkindern von rechtsaußen gemein zu machen. Und das erreicht man eben nicht nur mit Fakten, sondern nur durch eine positive Emotionalisierung des Themas, indem man deutlich macht, dass es bei dem Thema immer um Menschen geht, und an die in der Bevölkerungsmehrheit durchaus vorhandene Hilfsbereitschaft für Menschen in Not appelliert. Politischer ausgedrückt: Hier liegen Menschenrechte und Humanismus im Clinch mit einem brutalen Neoliberalismus, den es schon in unserem eigenen Interesse in allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzudrängen gilt.
Engagierst du dich ansonsten auch in der Flüchtlingsarbeit?
Nicht, indem ich konkret mit einzelnen Geflüchteten arbeite oder sie unterstütze. Schon allein deshalb, weil ich als selbständiger Autor und ehrenamtlicher Lektor und Verleger und noch Vorsitzender der Stiftung Respekt! eh 60-70-Stunden-Wochen habe. Da bleibt schlicht nicht die Zeit für weiteres kontinuierliches Engagement zum Beispiel in anderen Vereinen. Aber es ist ein Arbeitsschwerpunkt von mir neben dem Thema Jugend und Subkulturen. Wir haben im Hirnkost-Verlag schon sechs Bücher zum Thema Flucht und Migration veröffentlicht, ich habe seit 2003 im Archiv der Jugendkulturen immer wieder Projekte dazu initiiert und zuletzt haben wir bei Respekt! über ein Jahr lang zu und mit jungen syrischen Geflüchteten gearbeitet und dazu auch ein Buch veröffentlicht [Rafik Schami/Klaus Farin (Hrsg.): Flucht aus Syrien. Hirnkost 2018]
Welche Art von Unterstützung könnt ihr jetzt noch gebrauchen?
Die Produktion des Buchs kostet rund 23.000 Euro, das können wir als winziger Verlag nicht alleine finanzieren. Und da ein Großteil der Bücher ja kostenlos verteilt bzw. zur Subskription für 3 Euro verkauft werden soll, wird das auch durch die Verkaufserlöse nicht reinkommen. Wir können nicht einmal die notwendigen 50 Prozent Anzahlung bei der Druckerei alleine aufbringen. Deshalb haben wir eine Crowfunding-Kampagne dazu gestartet und freuen uns aber auch über jegliche weitere finanzielle Unterstützung. Denn wir wollen auch keinen Billig-Paperback-Druck produzieren, sondern ein Buch, das die Menschen auch – trotz des traurigen Themas – gerne in die Hand nehmen: also ein gebundenes Buch, mit Lesezeichen und zweifarbig gestaltet. Wir orientieren uns bei Hirnkost grundsätzlich an den Standards etwa der Büchergilde oder der Anderen Bibliothek, die immer wunderschöne Bücher produziert haben. Gerade heute, wo es das Buch schwer hat, dürfen Leser*innen das Bücherlesen nicht als Mühsal empfinden, weil sie sich durch Bleiwüsten aus winzigen Buchstaben durchquälen müssen.
Aber es geht nicht nur ums Geld. Wir möchten auch möglichst viele Initiativen, Gruppen, Verbände, Geschäfte motivieren, das Buch an einem Tag im Dezember – dem Internationalen Tag der Menschenrechte – kostenlos zu verteilen, um viele Menschen zu erreichen. Wir werden dazu Plakate, Flyer und mehr zur Ankündigung der Aktion drucken und auch für Veranstaltungen zur Verfügung stehen bzw. versuchen, selbst die eine oder andere zu organisieren.