Die stille Krise der Menschenrechte – Beitrag von Moustapha Diallo

Moustapha Diallo (Foto: Christiana Diallo-Morick) ist Literaturwissenschaftler, Publizist und Übersetzer. Er studierte Germanistik in Senegal, Österreich, Deutschland und Frankreich. Er wurde in Frankreich 1996 mit der Arbeit Exotisme et conscience culturelle dans l’oeuvre d’Inge- borg Bachmann („Wahrnehmung und Darstellung des Fremden im Werk Ingeborg Bachmanns“). 2008 bis 2011 war er Lehrbeauftragter am Germanistik-Institut der Universität Paderborn und Deutschlehrer am Ludwig-Erhard-Berufskolleg Münster. Seine Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den Themen Interkulturalität, Postkoloniale Studien, Afrika in der deutschen Literatur sowie Deutschunterricht und Germanistik auf dem afrikanischen Kontinent. Er ist Herausgeber des Buchs Visionäre Afrikas (Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2014).

Hier Moustapha Diallos Beitrag im Buch “Todesursache: Flucht. Eine unvollständige Liste”:

Als es wieder einmal um die Diskussion über Flüchtlinge ging, sagte ein Bekannter zu mir: „Du bist unser Anwalt hier. Sag ihnen, was sie mit uns machen.“ In solchen Situationen komme ich mir ziemlich privilegiert vor. (Das passiert nicht so oft in Europa.)

Als Privilegierter über Unterprivilegierte zu schreiben, funktioniert nur, wenn man die Perspektive wechselt, also die Welt mit den Augen der Betroffenen betrachtet. Deshalb möchte ich mit einer Geschichte beginnen, die für viele Geschichten von Flucht aus Afrika steht. Sie ist Gegenstand eines Romanprojektes, an dem ein Freund arbeitet. Es ist die Geschichte eines kleinen Dorfes in meiner Heimat, Senegal.

Vor fünf Jahren taten sich 48 Jugendliche und junge Männer zusammen und beschlossen, ein Boot zu bauen. Sie kamen alle aus demselben Fischerdorf am Atlantik und wollten sich nicht auf die einschlägigen Seelenverkäufer verlassen. Nach monatelanger Arbeit stachen sie in See, Richtung Spanien. Am Strand war das ganze Dorf versammelt, denn jede Familie hatte mindestens ein Mitglied unter der Besatzung. Das Boot kam in Europa nie an. In dem Dorf wurde kein Fest mehr gefeiert: keine Hochzeit, keine Taufe, nichts, was Anlass zur Freude ist. Es ist ein traumatisiertes Dorf.

Interessanter als die Frage, was sie in Europa wollten, ist die Frage, wie sie auf die Idee kamen: Warum dieser kollektive Aufbruch?

Einige Jahre zuvor hatte die EU Fangrechte für senegalesische Gewässer gekauft. Was das für die einheimischen Fischer bedeutet, kann man an folgenden Zahlen sehen: Der Fang eines europäischen Schiffes entspricht dem, was ein senegalesischer Fischer fängt, wenn er jeden Tag mit seinem Boot rausfährt, und das 55 Jahre lang. Die Existenzgrundlage ganzer Dörfer wurde mit diesem Abkommen zerstört. Ähnliches erleben die lokalen Bauern und Viehzüchter.

Würden die europäischen Entscheidungsträger ihre Politik ändern, wenn sie wüssten, welche Folgen sie hat? Das fragte ich mich, als der Autor mir von seinen Motiven erzählte. Denn er sagte: „Ich möchte diese Geschichte erzählen, damit die Europäer verstehen, warum die afrikanische Jugend ihr Leben aufs Spiel setzt.“

Angesichts der Stellungnahmen europäischer Entscheidungsträger ist zu bezweifeln, dass ihre Kenntnis der Folgen ihrer Politik etwas ändern würde. Denn seit Jahrzehnten arbeiten europäische Regierungen an der Konsolidierung der Festung Europa. Mancher Politiker schreckt dabei nicht einmal vor menschenverachtenden Stellungnahmen zurück. So gab der frühere Innenminister Friedrich die Losung aus, „problematische Menschenströme aus fremden Kulturen [zu] verhindern“. In den 1990er Jahren warnte der bayerische Ministerpräsident Stoiber vor einer „Durchrassung der deutschen Gesellschaft“. Bekanntlich wurde das Grundrecht auf Asyl, das aus den Erfahrungen der Unmenschlichkeit im vergangenen Jahrhundert entstand, zu dieser Zeit praktisch abgeschafft.

In seinem Roman Eldorado behandelt der französische Schriftsteller Laurent Gaudé die europäische Antwort auf die Flüchtlingsfrage, indem er die Entwicklung eines italienischen Marinekommandanten schildert, der seit vielen Jahren afrikanische Flüchtlinge vor Lampedusa jagt.

„Weißt du, was sie uns in der Kommandantenschule sagten?“, fragte Salvatore Piracci mit einer angewiderten Grimasse. Der alte Mann schüttelte den Kopf.

„Sie sagten uns, wir seien da, um die Tore der Zitadelle zu bewachen. Sie sind der Schutzwall Europas. Das sagten sie. Es ist ein Krieg, meine Herren. Geben Sie sich keiner Täuschung hin. Es gibt zwar weder Schüsse noch Bombardierungen, aber es ist Krieg, und Sie stehen an vorderster Front. Sie dürfen sich nicht überrennen lassen. Die Stellung muss gehalten werden. Sie werden immer zahlreicher, und die Festung Europa braucht Sie.“

In den letzten Jahren sind die Hemmungen vor rassistischen Äußerungen spürbar gesunken. Rechtspopulisten sind im Aufwind. Es sind deutliche Zeichen für eine Stimmung, die Afrikaner zweifellos am stärksten zu spüren bekommen. Nicht zufällig ist von den Antragstellern bewilligter Asylbescheide nur jeder tausendste ein Afrikaner.

Gegen diese Haltung zu Afrika richtet sich die Geschichte des traumatisierten Dorfes, und den Versuch, das Bewusstsein für diese Fehlentwicklungen zu wecken, unternehmen immer mehr Betroffene. Es sind Wortmeldungen aus den Rändern der privilegierten Gesellschaften, die auf ein zentrales Problem hinweisen: die „stille Krise der Menschenrechte“, wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan es nannte, oder konkreter: die krankhaften Züge der Weltgesellschaft.

Ein Buch darüber heißt Der Traum vom Leben. Es ist der Bericht eines deutschen Journalisten über die Odyssee afrikanischer Flüchtlinge. In diesem Buch erzählen Betroffene von ihren Erlebnissen, ihren Motiven und ihren Wünschen. Sie äußern sich auch zur Haltung Europas und stellen viele Fragen. So fragt die 23-jährige Joy, die zur Prostitution gezwungen wurde: „Glaubt tatsächlich irgendjemand in Europa, dass auch nur ein Afrikaner seinen Kontinent verlassen würde, wenn er nicht müsste?“

Die interessanteste Begegnung des Journalisten ist die mit einer Gruppe von Flüchtlingen im algerisch-marokkanischen Grenzgebiet. In einem Canyon haben sich 160 Leidensgefährten zusammengetan und einen provisorischen Staat gegründet. Sie nennen ihn The Valley, das Tal.

„Die meisten kommen aus Ghana und die anderen aus Mali, Senegal, Gambia, Kamerun, Nigeria, Kongo, Burkina Faso und Elfenbeinküste. Sie hausen in Hütten aus Pappe … The Valley hat einen Fußballplatz, zwar löchrig und holprig, aber mit zwei Toren; es hat einen Präsidenten, eine Polizei, ein Gefängnis, Soldaten, ein Sekretariat, einen Justiz- und einen Verteidigungsminister, eine Leibwache für die, die hinausgeschickt werden, um Wasser zu holen.“

In diesem Tal der Verzweifelten haben die Leute wieder ein bisschen Würde und eine Aufgabe. Im Gespräch mit dem Journalisten und seiner Begleitung erzählt der Präsident:

„Weggegangen bin ich, weil ich das Visum, das ich beantragt hatte, nicht bekam – ich wollte mein Leben trotzdem selbst planen, wollte etwas erreichen. Ich bin Computeringenieur und Video- und Fototechniker. Wenn ich Arbeitsmaterial und auch nur winzige Aufträge gehabt hätte, wäre ich geblieben, aber es gab nichts. Gar nichts. Und ich wollte einen Ort erreichen, wo ich überleben kann. Ist das zu viel verlangt? Wo ich arbeiten und ein bisschen Geld verdienen kann. Das ist doch nicht größenwahnsinnig, oder?“

Nach einem Hinweis auf die Abkommen zwischen der EU und den nordafrikanischen Staaten, die zur brutalen Jagd auf Flüchtlinge führen, schließt der Präsident mit folgenden Worten:

„Zwei Dinge sage ich euch. Erstens: Die Weißen haben Afrika als illegale Einwanderer betreten. Oder hatte irgendein Sklavenjäger ein Visum? Zweitens: Die afrikanische Odyssee wird niemals gestoppt werden. Wenn ihr uns stoppen wollt, dann baut eine Mauer mitten im Meer, und baut sie bis hin- auf in den Himmel.“

Aber selbst das würde nichts helfen, erklärt der nächste Gesprächspartner Felix:

„Wir wissen, dass wir gegen Militär kämpfen, aber wir sind schlau und vielseitig. Wir haben Ingenieure, Elektrotechniker, Physiker. Wir werden die Patrouillen beobachten und herausfinden, wo die Lücken sind. Sollen dort doch Millionen Kameras stehen, sollen dort Zäune gebaut werden, die bis zum Himmel reichen, sollen dort zehn Millionen Soldaten sein – wir werden nach Ceuta kommen, mein Freund, ganz sicher. Ein kleines Loch wird uns genügen, und das kriegen wir hin. Wir haben keine Angst, wir sind verzweifelt. Hier kämpft Technik gegen Verzweiflung, und ich garantiere dir: Verzweiflung ist stärker.“

Die zentrale Frage bringt der 32-jährige Opoku Agyema auf den Punkt:

„Unser Problem ist euer Problem und ein Problem aller; es ist ein Problem der Menschheit. Aber ihr Europäer wollt eure schöne Welt genießen und euch um nichts kümmern; das geht bloß nicht mehr, weil anderswo Arbeit zu billig geworden ist und weil es zu viel Armut gibt. Die Welt ist außer Rand und Band, und ihr Europäer wollt Zeit gewinnen, so lange wie möglich euer Leben so zu bewahren, wie es ist.“

Diese Strategie wird seit Jahrzehnten kritisiert, von Afrikanern ebenso wie von Europäern. Mit Blick auf die brutale EU-Flüchtlingspolitik, die Abkommen mit Autokraten und Diktatoren sowie die Zusammenarbeit mit kriminellen Milizen bemerkt Heiko Kauffmann zu Recht: „Auch die Demokratie ist keine Garantie zur Verhinderung der Barbarei.“

Der krasse Widerspruch zwischen den vielbeschworenen Werten und der Praxis „rassistischer Abwehr“ fordert die Zivilgesellschaft heraus.

Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar.

„Von denjenigen, die gegen die Flüchtlinge wettern, würden wahrscheinlich 80 Prozent Flüchtlinge in der eigenen Familie finden, wenn sie drei Generationen zurückblickten!“, kommentierte im Jahr 2015 der Freiburger Trainer Christian Streich die hetzerischen Äußerungen pöbelnder Massen. Dieser kritische Blick auf die drängende Flüchtlingsproblematik kontrastiert aufs Eklatanteste mit der Haltung des damals zuständigen Ministers de Maizière.

Von der angeblich mangelnden „Dankbarkeit“, den „sich prügelnden Asylbewerbern“ bis zur fahrlässigen Bemerkung über Flüchtlinge, „die Hunderte von Kilometern mit dem Taxi fahren“ würden, hat er kaum etwas ausgelassen, was dazu geeignet wäre, die Hilfesuchenden zu diskreditieren. Sie alle sind Hilfesuchende, ob man ihre Not anerkennen will oder nicht! Derartige Äußerungen von offizieller Seite entlarven eine Politik, die sich in Zäunen und Abgrenzungsstrategien offenbart. Sie drücken eine unzeitgemäße Wahrnehmung der Welt aus, eine Denkweise, die es zu überwinden gilt.

Wollte man sich auf das Argumentationsniveau des Ministers begeben, so könnte man Folgendes anmerken: Viele der Verzweifelten, die im Mittelmeer ihr Leben lassen, sind Nachfahren von Männern, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben riskiert bzw. gelassen haben, um Europa von der Nazi-Herrschaft zu befreien. Wie viel Dankbarkeit dafür haben sie von deutscher bzw. europäischer Seite erhalten? Würden sich Deutsche nicht prügeln, wenn man sie zu Hunderten auf engstem Raum zusammenpferchen würde? Dass sie dazu nicht einmal solch eine Stresssituation brauchen, kann man jedes Wochenende bei Fußballspielen beobachten. Wer sagt denn, dass jemand, der Hilfe braucht, bettelarm sein muss? Also nicht mit dem Taxi fahren können darf? Es ist deprimierend, wie Volksvertreter angesichts greifbarer Not von Gipfel zu Gipfel rennen und ein Trauerspiel der zynischsten Art vorführen.

Statt unbedachter – um nicht zu sagen demagogischer – Bemerkungen, sollten die Entscheidungsträger endlich einsehen, dass die Abertausenden, die mit Nachdruck an die Türen Europas klopfen, vor Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen geflohen sind: vor politischer oder religiöser Verfolgung; vor Waffen, die oft aus Europa kommen; und nicht zuletzt vor der Gewalt, die der weltbeherrschenden Wirtschaftspolitik innewohnt: Das gilt für die rücksichtslose Spekulation auf Lebensmittel ebenso wie für das hemmungslose Preisdumping, etwa in Afrika, durch den Export von Milchüberschüssen und Ausschüssen wie Hühnerrücken, Schweinepfoten u.a., die die Produzenten in den benachteiligten Ländern in den Ruin treiben.

Dass die Gewalt der bestehenden Verhältnisse tödlich ist, zeigen nicht nur Katastrophen wie eine eingestürzte Textilfabrik in Bangladesch, sondern auch der Tod von Zigtausenden, die täglich in brutaler Stille an Hunger und seinen Folgen sterben. Angesichts der Gleichgültigkeit gegenüber dem vermeidbaren Leid von Millionen forderte Peter Weiss in den 1990er Jahren, als das Asylrecht unter frustrierenden Umständen ausgehöhlt wurde: „Wir müssen massive Anstrengungen unternehmen, um die ärgerliche Unterscheidung zwischen ‚realen’ und ‚wünschenswerten’ Rechten zu überwinden, um Richter, Regierungsvertreter und die Öffentlichkeit insgesamt davon zu überzeugen, dass ein knurrender Magen die menschliche Würde genauso verletzt wie mitternächtliches Klopfen an der Tür. Diese Anstrengungen müssen auch politische Aktionen beinhalten.“

Gegen die Panik vor Fremden, die von verschiedener Seite verbreitet wird, sei daran erinnert, dass vor nicht allzu langer Zeit an die drei Millionen Russlanddeutsche aufgenommen wurden, die heute nicht mehr aus Deutschland wegzudenken sind. Dass für diese Migranten ganze Siedlungen gebaut wurden, offenbart den politischen Unwillen, eine ähnliche Haltung gegenüber den ebenso oder noch mehr gebeutelten Syrern, Afghanen, Afrikanern einzunehmen. Warum eigentlich? Nicht zufällig fragte die Festrednerin der diesjährigen Frankfurter Buchmesse Chimamanda Ngozi Adichie, ob der Grund für die hysterische Diskussion die Flüchtlinge seien oder vielmehr, dass sie Moslems seien bzw. eine dunkle Hautfarbe hätten.

Auf die Frage nach der Lösung für das Flüchtlingsproblem heißt es mittlerweile allenthalben: Wir müssen die Herkunftsländer unterstützen! Wir müssen die Ursachen von Flucht bekämpfen! Beim UN-Entwicklungsgipfel im Juli 2015 in Addis Abeba konnte man feststellen, wie ernst die westlichen Regierungen diese Erklärung meinen: „kompromisslos und mit allen Mitteln der Einschüchterung“ beharrten die Vertreter der reichen Länder auf dem Status quo und lehnten nahezu alle Vorschläge der krisengeschüttelten Länder ab, berichtete der Journalist Bernd Pickert. Und angesichts der unübersehbaren Vernachlässigung des „öffentlichen Wohls“ zugunsten der „Gewinnmaximierungsinteressen transnationaler Konzerne“ fordert er: „Spätestens wenn das nächste Mal ein europäischer Regierungspolitiker daherredet, man könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, man solle besser die Fluchtursachen angehen, gehört ihm das Abschlussdokument von Addis Abeba so lange um die Ohren gehauen, bis es richtig wehtut.“

Statt einer Rückbesinnung auf humanistische Werte werden Seenotretter und Hilfsorganisationen diffamiert und Notleidende verunglimpft: Ohne jede Hemmung sprechen Unionspolitiker von „Asyl-Shuttle“ oder „Asyl-Tourismus“ und verhelfen so politischen Gruppierungen, die nur von Ausgrenzung leben, zu schockierenden Wahlerfolgen.

Wie unverantwortlich und entlarvend die „Das Boot ist voll“-Debatte ist, ist dem Parteifreund des damaligen Ministers de Maizière, Kurt Biedenkopf, aufgestoßen: „Immerhin haben wir 500 Jahre die Welt regiert als Europäer, haben überall ausgebeutet, wo wir hingekommen sind.“ Gegen ein Verständnis von Globalisierung als Fortsetzung dieser Praxis sind die Belange der Benachteiligten energisch zu behaupten. Die Verbreitung von Panik bedeutet deshalb eine perfide Untergrabung der kulturellen Erneuerung, die eine menschliche Weltgesellschaft erfordert. „In der Tat ist auf der Grundlage einer universalistischen Ethik nicht ohne weiteres einzusehen, warum der Sozialstaat auf die eigene Nation beschränkt sein sollte.“ So bringt das der deutsche Philosoph Vittorio Hösle auf den Punkt. Mit anderen Worten: Ob Flüchtlinge weiterhin in großer Zahl nach Europa kommen, hängt davon ab, ob Europa seine egoistische Politik weiterbetreibt. Dass hinter jeder Flucht der Drang nach würdigem Leben, Sicherheit und Freiheit steht, ist aus der Geschichte der westlichen Welt bestens bekannt.

Vor diesem Hintergrund erinnern die diesjährigen Preisträger des Deutschen Buchhandels Aleida und Jan Assmann an die Menschlichkeit, die immer den Schutz des Einzelnen meint, und an das „Nie wieder!“, das als Lehre aus der Barbarei der Nazi-Herrschaft gezogen wurde und auch bedeutet: „Nie wieder Menschen im Meer ertrinken lassen! Nie wieder Hilfebedürftige an den Grenzen zurückweisen!“

„Unterlassene Hilfeleistung“ ist nicht zufällig ein juristisch relevanter Begriff und wird strafrechtlich verfolgt; er gilt auch für das Leid von Menschen vom anderen Ende der Welt. Zumal es nachgewiesenermaßen vermeidbar ist. Eine Weltgesellschaft, in der Tiere oftmals mehr zur Verfügung haben als zwei Milliarden Menschen, ist eine zutiefst kranke Gesellschaft. In einem Interview legte der französische Wirtschaftswissenschaftler und langjährige Berater von François Mitterrand, Jacques Attali, das Versagen der aktuellen Entscheidungsträger offen und nannte zwei Möglichkeiten für den Ausgang aus der derzeitigen Krise: Entweder es komme irgendwann zu einer Revolution, oder ein neuer Typ von Politikern betrete die Bühne, ein „weitsichtigerer Typ als die kleinen Männer, die heute die vermeintlich großen Nationen regieren“. Hinzuzufügen ist nur der einfache Satz: „Es gibt keine neue Politik, wenn man sie nicht einfordert.“

In diesem Sinne bemerkt Aleida Assmann, dass „künftige Generationen uns fragen könnten: Warum habt ihr nichts gemacht?!“