Er wurde Mitte des vorigen Jahrhunderts im Sudan geboren und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Salah Yousif verließ seine Geburtsstadt Khartum 1969, um Pharmazie in Europa zu studieren. Schon als Jugendlicher begann Yousif Gedichte zu verfassen. Sein Onkel, ein Schriftsteller, ermutigte ihn. Als er 13 war, zeigte er seinem Onkel eines seiner Gedichte. Der sagte: „Das ist gut, mach weiter.“ Und Salah Yousif schrieb weiter.
Egal, wo er lebte, ob in Athen, Bulgarien oder Berlin, engagierte er sich immer politisch. 1972 verschlug es ihn nach Berlin; er verlor seinen Pass und konnte deshalb nicht weiter studieren. Also verkaufte er mit einem Freund Schmuck am Kurfürstendamm.
Als Salah Yousif klar wurde, dass er in Berlin bleiben würde, eröffnete er 1988 einen Laden in Kreuzberg. Zuerst verkaufte er Lebensmittel, später auch Antiquitäten und Schallplatten. Bis heute ist sein Laden als An- und Verkauf mit Möbeln, Schallplatten und Spielzeug in der Urbanstraße 46 in Kreuzberg zu finden.
Als jemand, der einen besonderen Blickwinkel auf die Welt besitzt, veröffentlicht er seine Gedichte zweisprachig. Er schreibt sie auf Arabisch, danach werden mit Freunden die deutschen Fassungen erarbeitet. Seine Gedichtbände erscheinen im Propeller Verlag: „Frauen von Kreuzkölln“, „Gräber im Wasser“, „Das offene Schweigen“, „Stille der Zeit“.
Für unseren Blog hat Salah Yousif uns ein Gedicht vom Juli 2014 gegeben. Mitarbeit an der Übersetzung: Manuel Simon.
Gräber im Wasser
Dunkle Brillen auf den Augen,
verstecken sie ihr halbes Gesicht
mit stylischen Hüten,
Mützen in grellen Farben
oder den Schals der Tuareg.
„Ganja, Afgane, Haschisch, Dope!“ –
Früchte des heiligen Baumes
in europäischer Sprache
mit afrikanischem Dialekt,
wenn er dir ein Geheimnis verkauft.
Ein Blick in das Gesicht des Kunden,
zugleich mit beiden Augen
Ausschau haltend nach Polizisten.
In dunklen Ecken im Görlitzer Park
oder der Hasenheide,
sammeln sich die verschiedenen Stämme,
vereint in Zuneigung und Konflikt.
Was sie zusammenbringt,
sind die Fremdheit und das Exil.
Sie hatten ihre Verabredungen
mit dem Tod, der Illusion
und mit den Schlepperbanden.
Am anderen Ufer die Festung Europa,
sie lebt in Milch und Honig
und in ihrer langen Geschichte
aus Bestialität und Blut.
Ihre Opfer bereiten sich vor,
in sie einzudringen: Ankommen oder Tod.
Sie überqueren Grenzen und Länder,
sie laufen, bis ihre Füße bluten,
vielleicht vier Jahre dauert die Reise.
Mit dem Scharfsinn der Menschen in Not
lernten sie sich durchzuschlängeln.
Den Soldaten der Diktatoren
konnten sie entgehen
und die Dorftyrannen
haben sie ausgetrickst.
Mit Booten und kleinen Schiffen
kämpften sie gegen das Mittelmeer.
Manche sind durchgekommen,
die Leiche von manch anderem
wird am Ufer verhaftet.
Die Spirale der Probleme
beginnt an dieser Küste von Neuem.
Die Hoffnungen sind unter den Wellen begraben,
unter Polizeibüros,
unter Artikeln des Grundgesetzes.
Doch wenn der Abend kommt,
nehmen sie ihre Masken ab.
Die Trommel wird geschlagen,
Sprache der Nachrichten
und des Widerstands.
Die Trauer der Kora explodiert in der Erinnerung
an die Frau, die ihr Bett mit den Sternen teilt,
an das Kind, das seinen Vater nicht sieht,
an die Mutter, die alle Götter ruft,
um ihren Sohn zu beschützen.
In ihre Kehlen eingedrückt
ist der Schmerz von 500 Jahren,
der den Klang ihrer Stimmen färbt.
Jetzt tauschen sie gegenseitig
ihre Gesänge aus
über die kranken Menschen,
die keine Medizin bekommen,
die Kinder, die viele Meilen laufen,
um etwas Wasser zu holen
oder zur Schule zu gehen.
Sie singen von ihren Schätzen,
die gestohlen wurden,
von Widerstand und Revolution,
von den Zentralen der Ausplünderung,
die man zerschlagen soll.
Sie beginnen einen wilden Tanz,
der anhält, bis die Nacht zerschmilzt.
Nun löst das Fest sich auf
und mit dem Morgen
fängt ihr Tag von Neuem an:
„Ganja, Afgane, Haschisch, Dope!“