Die Liste
Das europaweite Netzwerk UNITED for Intercultural Action mit Sitz in Amsterdam führt die Liste der belegten Fälle der auf der Flucht nach und in Europa gestorbenen Menschen seit 1993 unter dem Titel der „Asylsuchenden, Geflüchteten und Migrant*innen, die aufgrund der restriktiven Politik der Festung Europa zu Tode kamen“. UNITED besteht aus 550 Organisationen aus 48 europäischen Ländern – die Unterstützung dieser Organisationen macht es möglich, die Liste weiterzuführen. Wesentlich zur Sichtbarmachung und Veröffentlichung der Liste trägt seit 2007 die türkische Künstlerin Banu Cennetoğlu bei. Sie hat die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe beim Berliner Tagesspiel 2017 und der englischen Ausgabe beim britischen Guardian 2018 angeregt und möglich gemacht. Und sie hat die Liste in viele Städten Europas, zuletzt in Liverpool während der Biennale für Zeitgenössische Kunst, plakatieren lassen.
Das Projekt
Für die vergangenen dreißig Jahre sind inzwischen mehr als 51.000 Menschen, die auf der Flucht nach und in Europa ums Leben gekommen sind, in der Liste dokumentiert. Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2018 erschien die Liste erstmals bei Hirnkost als Buch mit dem Titel „Todesursache: Flucht“ – unterstützt von mehr als 60 Organisationen, die es bei ihren Aktionen einsetzten. Es gab Theater- und Schullesungen, Kulturevents und viele Diskussionsveranstaltungen. Die Erstauflage (10.000 Exemplare) war zum Erscheinungstermin quasi bereits vergriffen. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2023 erscheint nun die dritte, überarbeitete Auflage mit der bis Februar 2023 ergänzten Liste.
Die meisten Toten sind ohne Namen verzeichnet. Die Herausgeberinnen Kristina Milz und Anja Tuckermann haben einige Namen recherchiert und möchten die Menschen, die sie waren, dem Vergessen entreißen, um das Ausmaß dieser Tragödie besser zu fassen zu bekommen – und der Debatte um Flucht und Tod wieder ein menschliches Antlitz zu geben.
Die mehr als 600 Buchseiten umfassende Liste wird um kurze Porträtgeschichten von einigen der Gestorbenen, Berichten von Überlebenden und Beiträgen von Heinrich Bedford-Strohm (Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern / Weltkirchenrat), Carlos Collado Seidel (Universität Marburg), M. Moustapha Diallo (Publizist), Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte), Grupa Granica aus Polen, Angela Hermann (NS-Dokumentationszentrum München), Stephan Lessenich (Frankfurter Institut für Sozialforschung), Heike Martin (Refugio München), Yirgalem Fisseha Mehbrahtu (Schriftstellerin und Journalistin), Karl-Heinz Meier-Braun (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen), Doris Peschke (Kommission der Kirchen für Migranten in Europa), Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung), Stephan Reichel (matteo e.V. – Asyl und Kirche), Estela Schindel (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)), SOS Bihać aus Bosnien, SOS Humanity u. a. ergänzt.
Die Initiatorinnen:
Dr. Kristina Milz, Jahrgang 1988, schreibt als freiberufliche Autorin Essays, Reportagen und Porträts, die sie immer wieder auch in den Nahen Osten führen; als Historikerin setzt sie sich insbesondere mit der transkulturellen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinander. Für ihre Arbeiten erhielt sie Preise und Stipendien.
Anja Tuckermann, geboren 1961, ist Autorin von Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, Libretti und Bilderbüchern. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet und in 13 Sprachen übersetzt.
Der Hirnkost Verlag wurde 2003 vom Archiv der Jugendkulturen gegründet und ist heute noch im Besitz von Vereinsmitgliedern, Autor*innen und der Stiftung Respekt!. Seine Publikationsschwerpunkte sind neben Jugend- und Subkulturen die Themen Migration und Flucht.
Das Buch
Kristina Milz + Anja Tuckermann (Hrsg.):
Todesursache: Flucht.
Eine unvollständige Liste
Hirnkost 2023
ISBN: 978-3-949452-90-1
ca. 640 Seiten,
Format 16 x 23
gebunden mit Lesebändchen, zweifarbig,
20 Euro
Erscheint zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2023
Unsere Botschaft
Anstatt uns von rechts und links anzuschreien, müssen wir in einen Dialog treten, um in unserer Gesellschaft mit unseren unterschiedlichen Meinungen friedlich zusammenleben zu können. Wir können und müssen über vieles reden, aber wir müssen dies in einer Sprache tun, die die Würde aller Beteiligten achtet. Ein echter Dialog funktioniert nur, wenn alle eine respektvolle Sprache verwenden. Menschen sind Menschen, als nichts anderes kann man sie bezeichnen. Wir müssen füreinander Verständnis aufbringen und alles dafür tun, dass unsere Gesellschaft das bleibt, wofür wir sie schätzen: Ein Kompromiss zwischen Sicherheit und Freiheit, mit dem alle leben können.
Wir müssen uns offenbar wieder darauf einigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das gilt für jeden Menschen. Und die Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Schutzbedürftige Menschen müssen geschützt werden, das gilt universell. Menschen in Lebensgefahr müssen gerettet werden. Wenn die Alternative zur Rettung von sterbenden Menschen deren Tod bedeutet, ist es keine Alternative, über die wir diskutieren dürfen. Der Rechtsstaat muss berechenbar und verlässlich sein. Recht darf nicht umgangen oder gebeugt werden.
Nur, wenn wir diese Grundsätze achten, können wir in einen konstruktiven Dialog treten und in der Frage weiterkommen, wie unser Zusammenleben gelingen kann. Was müssen wir dafür tun, was können wir dafür einfordern?
Unser Ziel
Wir wollen, dass die Debatte um Flucht und Migration wieder mit Respekt vor den betroffenen Menschen und mit ihnen geführt wird.
Wir wollen, dass endlich wieder über die wesentlichen Dinge, die unser Zusammenleben in diesem Land weiterbringen, gesprochen wird.
Wir wollen eine deutschland-, besser noch eine europaweite Diskussion anregen.
Wir wollen alle Organisationen und Initiativen in den Dialog einbinden, die sich für Menschenrechte stark machen. Wir wollen alle Konfessionen und Religionen mit einbinden. Wir wollen Parteipolitik raushalten.